„Nach vier gut besuchten Sorbisch-Kursen in der Stadtverwaltung wollen wir ein bisschen weg vom Unterrichtsgefühl. Wir wollen mit der sorbischen Sprache nach draußen gehen, die Hoyerswerdaer und unsere Gäste sollen spüren, dass die Sprache lebt.“ Sagt Gabriela Linack, Beauftragte für sorbische Angelegenheiten der Stadt – und Mitglied im Regionalvorstand des sorbischen Dachverbandes Domowina.
„Zudem
wollen wir auch all jenen, die anderenorts an Sorbisch-Kursen teilgenommen
haben, eine Möglichkeit bzw. einen Sprachraum geben, das sorbisch Erlernte
aktiv anzuwenden. Dieses Ziel hatte ich mir als Beauftragte für sorbische
Angelegenheiten der Stadt Hoyerswerda für die Weiterführung der Pflege der
sorbischen Sprache in Hoyerswerda gestellt und für den Mittwoch der vergangenen
Woche zur 1. Sorbisch-Sprachwerkstatt ins Café Auszeit ins Bürgerzentrum
eingeladen.
Gekommen
waren sowohl Muttersprachler als auch Freunde der sorbischen Sprache. Zunächst
hatten sich die neun Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf ein Motto für diese und
die zukünftigen Werkstätten geeinigt – es lautet ,Rěčna swětłownja Wojerec‘ und
bedeutet in etwa ,Sprachleuchtturm Hoyerswerda‘. Doch es blieb nicht allein bei
der Namenssuche, schließlich ging es um die lebendige sorbische Sprache. Und so
musste jeder Gast Speisen und Getränke auf Sorbisch bestellen. Erfreulich:
Frank Heinze vom KuFa-Café Auszeit verstand alle – jeder erhielt das
Gewünschte.
Es wurde
viel gelacht an diesem Abend – es wird schon bald eine Fortsetzung geben. Diese
ist für den 23. Oktober um 18 Uhr im „Andulino“ (Ratskeller) geplant. Weitere
Sorbisch-Interessierte sind ausdrücklich herzlich willkommen, an dieser
Gesprächsrunde teilzunehmen. Ob die sorbische Sprache auch im italienischen
Restaurant verstanden wird, wird man dann sehen. Auf alle Fälle wird es
Interessantes zu berichten geben: Die Sorbische Volkstanzgruppe Zeißig gastiert
in der kommenden Woche mit ihren Liedern und Tänzen in Calella in Spanien.
Das ist
gelebtes Europa: Sorben und Deutsche sprechen beim Italiener von Spanien. Gäste
sind herzlich willkommen!“
Wenn am Montagabend im Hoyerswerdaer Domowina-Haus das Service-Büro für sorbische Sprache in den Städten und Gemeinden des Siedlungsgebietes der Sorben in Sachsen eröffnet wird, kommt damit die erste öffentliche sorbische Institution ins Lausitzer Seenland. Ein Ansporn für weitere Ansiedlungen in der Region Hoyerswerda.
Was wir schon angefangen haben
Da ist schon sozusagen in der Pipeline das
Gesamtlausitzer Kinder- und Jugendzentrum für sorbische Sprache auf dem Terrain
der Krabat-Mühle Schwarzkollm https://www.lr-online.de/lausitz/hoyerswerda/braumann-will-sorbisches-sprachzentrum-ab-2021_aid-36550225 Der Trägerverein vor Ort hat mittlerweile eine sorbischsprachige
Mitarbeiterin für sorbische Kultur und schon zuvor mit dem Aufbau der Krabatmühle,
der Festspiele und dem ganzjährigen Betrieb unter Beweis gestellt, welches
enorme Potenzial in den wenigen Haupt- und zweihundert Ehrenamtlichen steckt.
Die investiven Voraussetzungen für dieses Projekt sollen im Rahmen des
staatlichen Strukturwandel-Fonds geschaffen werden, die ständige Finanzierung
soll Bestandteil der Regionalisierung der Förderung sorbischer Sprachräume
durch die Stiftung für das sorbische Volk sein.
Regionalisierung ist top
Dann haben wir die sorbische Sprachschule, die bis 1994
in Milkel bestand, unsinnigerweise aufgelöst wurde und nun in neuer Form
wiedererstehen soll. So will es jedenfalls der unlängst beschlossene „Zweite Maßnahmenplan der Staatsregierung
zur Ermutigung und zur Belebung des Gebrauchs der sorbischen Sprache“. Wie
schon ursprünglich beim Service-Büro zunächst intern erwogen, ist auch hier
erstmal wieder „Bautzen“ vorgesehen. Dieser Standort am Südrand des sorbischen
Siedlungsgebietes ist unter Berücksichtigung des tatsächlichen Bedarfs objektiv
ungeeignet. Auch hier gilt: Regionalisierung ist Trumpf, wir brauchen eine ganz
flache Hierarchie mit mehreren Niederlassungen, zum Beispiel könnte das
logistische Zentrum im Mittelpunkt des sorbischen Kerngebiets, in Crostwitz,
liegen und eine bedarfsweise angemietete Dependance in der Hoyerswerdaer Altstadt,
im oder beim Domowina-Gründungshaus, der Kulturfabrik.
Zentralismus
ist Erblast der Vergangenheit
Von
besonderem Reiz ist, was die Direktorin des Sorbischen Museums vorgeschlagen
hat: die Schaffung eines ständigen Ausstellungsortes für zeitgenössische
sorbische bzw. slawische Kunst. Dafür werden mindestens tausend Quadratmeter in
Beton gesucht. Da engagieren wir uns natürlich, auch bei anderen Aspekten
dieses Projektes, denn das Ding gehört unbedingt nach Hoywoy, die modernste
Stadt der Lausitz. Im Übrigen war das Sorbische Museum bis 1972 in Hoyerswerda
und verschwand dann, in Vollendung der zu DDR-Zeiten betriebenen Konzentration
des sorbischen institutionellen Lebens in Bautzen.
Karten
werden jetzt neu gemischt …
Es ist
ein gewisser Treppenwitz der Geschichte, dass diese Zentralisierung durch den
realexistierenden DDR-Sozialismus nun am vehementesten von politischen Kräften
verteidigt wird, die ansonsten kein gutes Haar am untergegangen zweiten
deutschen Staat finden können. Sie sagen, Bautzen sei doch „immer schon“ und
lassen die rege sorbische Publikationstätigkeit schon im Hoyerswerda des 19.
Jahrhunderts gänzlich außer Acht.
… und
Hoyerswerda hat Trümpfe in der Hand
Nun
dreht die Welt sich weiter, und wir haben das europaweit einzigartige Lausitzer
Seenland mit der Seenland-Hauptstadt Hoyerswerda. An jedem Sommerwochenende der
internationalste Platz der ganzen Lausitz, viele junge Leute aus Tschechien und
Polen. Beim Skaten, Surfen, Baden, FKK und überhaupt. In einigen Jahren werden
wir den Zuse-Campus am Scheibe-See haben, Dresden-Hoywoy mit der S-Bahn in 40
Minuten. Wie die Region in der Industrialisierung mit Schwarze Pumpe ganz vorne
gewesen ist, wird sie dann in unserer Digitalisierungs-Epoche mit Informatikern
aus aller Welt in der ersten Reihe mitmischen.
Sorbisches
macht Lausitz einzigartig
Da die
sorbische Identität das Alleinstellungsmerkmal der Lausitz gegenüber dem Rest
der Welt darstellt, ist es nur eine Frage der Zeit, dass die Mitte des
sorbischen Netzwerkes in der Mitte der Lausitz sein wird, der Stadt, die sich jetzt
am Puls der Zeit befindet. Dass Hoyerswerda Bautzen ablöst, ist übrigens nichts
Schlimmes. Bautzen hat eine zauberhafte altehrwürdige Silhouette, die auch uns
in den Bann zieht. Die Stadt an der Spree besitzt vielfältige Vorzüge und auch
sorbische Facetten, die weiter eine wichtige Rolle spielen werden.
Bautzen
die Verwaltung, Hoyerswerda das Leben
Es mögen
auch Stiftungs- und Domowina-Verwaltung gerne dortbleiben. Hoyerswerda wird das
Leipzig der Lausitz, wo Austausch und Neues angesagt sind, und möchte als Stadt
der Produktivität nicht mit dem Dresden der Lausitz, der Heimstatt des
Verwaltens, konkurrieren. Wenn die Leipziger monumentalen Glanz erleben wollen,
fahren sie nach Dresden. Und wenn die Dresdner mal richtig shoppen oder locker
leben wollen, begeben sie sich nach Leipzig. Ein sächsisches Sinnbild für die
Lausitzer Verhältnisse.
Setz
dich – sydń so! Am besten im Rahmen des Altstadt-Boulevards auf
die sorbisch beschrifteten avantgardistischen Sitzgelegenheiten, neudeutsch:
Stadtmöblierung. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass der öffentliche Raum
zumindest im Sommer wie ein großes gemeinsames Wohnzimmer nutzbar wird.
Die in Bautzen erscheinende Sorbische Zeitung ist voll
des Lobes: Bei allem Respekt für diverse sorbische Event-Aktionen in der
Spreestadt, wo noch nahezu alle sorbischen Institutionen konzentriert sind, sei
das doch mal etwas Besonderes, was da in der Seenland-Stadt auf die Beine
gestellt worden ist – da werde der öffentliche Raum für Monate geprägt, und
nicht nur für ein paar Stunden.
Hoyerswerda wirbt ja mit seiner Liebe zu Ideen. Die lebt
durch konkrete Menschen. Zum Beispiel die Citymanagerin Dorit Baumeister. Dem
architektonischen Geschick dieses quirligen Multitalents verdanken wir u.a. die
geniale futuristische Innenausstattung des Gründungshauses des sorbischen
Dachverbandes Domowina, in dem heute die Kulturfabrik kultureller und
gesellschaftlicher Vielfalt ein verlässliches Zuhause gibt – auch der
sorbischen Community. Hier gründeten wir unseren Klub der jungen sorbischen
Freigeister.
Dorit Baumeister hat sich daher sofort der Idee geöffnet,
das Sorbische Anteil nehmen zu lassen an der Beschriftung der Sitzgelegenheiten
und der Pflanzenkübel. Das war der Beauftragten für sorbische Angelegenheiten
der Stadt, Gabriela Linack, eine Herzenssache. Gemeinsam sprachen wir mit der
Citymanagerin und rannten offene Türen ein. So läuft das eben in Hoywoy: Kein
langes Gezerre, sondern unkomplizierte Vereinbarungen.
Die kernigen Sprüche auf Sorbisch tragen die Handschrift von
Gabriela Linack. Sie stehen für sich, wie die hier im Bild dokumentierten
Beispiele: “Hladaj mudrje do swěta” =
schau klug in die Welt. Natürlich nie allein, die Herausbildung von weiser
Weltanschauung ist immer ein Gemeinschaftsprojekt. Auch dieses Bewusstsein ist
in der Region Hoyerswerda historisch tief verwurzelt. Oder: “A wěr: Serbja
wostanu” = und glaub’s: Die Sorben bleiben. Das hat nicht zuletzt auch der
sorbische Kulturbeitrag aus Zeißig zum Altstadtfest unter Beweis gestellt.
Ich begleite dieser Tage ein Mädchen aus meiner angeheirateten Großfamilie zum Kinderschwimmlehrgang im Lausitz-Bad. Sie wird, folgt man ihrer statistischen Lebenserwartung, das 22. Jahrhundert erleben. Neulich sagte ich einer Mitarbeiterin eines Hoyerswerdaer Wohnungsunternehmens: Wir müssen nichts übers Knie brechen, wir arbeiten ja an einer Jahrhundertaufgabe. – Deshalb brauchen wir Nachhaltigkeit, um mal ein überstrapaziertes Modewort zu verwenden.
Der sorbische Sommer auf den Straßen der Altstadt von
Hoyerswerda trägt dazu ein Samenkorn bei. Ebenso wie unser zweiter Klub der
Freigeister auf dem Lausitz-Tower in der Hoyerswerdaer Neustadt. Da war auch
eine sorbisch sprechende junge Frau aus Hoyerswerda mit dabei. Es entwickelt
sich. Die selbstbewusste Präsentation der beiden großen Wohnungsunternehmen und
der Stadt selbst in der Sonderbeilage der Sorbischen Zeitung zum
internationalen Folklorefestival Lausitz, bei dem sich die ganze sorbischsprachige
Welt trifft, legte unlängst davon weit über die Grenzen der Stadt hinaus
Zeugnis ab.
Das Sorbische ist ja kein Selbstzweck. Es ist das Herz
der regionalen Identität und lädt ein zum gemeinsamen Wohlfühlen. Bei Festen
und im Alltag – auf den Straßen und Plätzen in unserem schönen Seenland. Wir
wollen keine technokratische Zweisprachigkeit, deshalb wird die Übersetzung
beim Altstadt-Boulevard auch nicht automatisch mitgeliefert. Wer es wissen will
und trotz Google nicht zum Ziel findet, kann sich gerne an den Župan, also den
Blog-Autor, wenden.
Es ist aber auch völlig o.k., wenn Sie sagen: Ich
verstehe das zwar nicht, finde es jedoch schön, dass es sowas gibt. – Schon seit
anderthalbtausend Jahren. Wikipedia-Nutzer wissen ja: Ohne das Sorbische gäbe
es die Lausitz nicht, nicht mal ihren Namen, von łuža = sumpfige Wiese. Die
Seele der Lausitz ist eine sorbische. Sie braucht keinen Sumpf, im Seenland
lebt sie ebenso weiter wie auf Pflaster und Beton. Denn das Sorbische geht –
wenn es selbst klug in die Welt schaut – mit der Zeit. Das war schon die
Botschaft des Patrons unseres Hoyerswerdaer Domowina-Regionalverbandes, Handrij
Zejler.
Die Wetterfrösche sagen: Es wird wieder heiß. Setzen wir uns also gemeinsam entspannt auf die sorbischen Sitzmöbel (auf die deutsch beschrifteten natürlich auch) und legen wir uns mit Kind und Kegel auf die Strände des Seenlands. Dann wird alles gut. Auch wenn man zwischendurch auch arbeiten muss.
Rede zum Sorbischen Heimattag der Region Hoyerswerda in Groß Särchen / Wulke Ždźary
Lubi
tule zhromadźeni, česćeni cyrkwinscy a komunalni zastupjerjo,
lube
Serbowki a lubi Serbja z našeho Wojerowskeho regiona,
sehr
geehrte Mitwirkende, Teilnehmer und Gäste des Sorbischen Heimattages 2019!
Für
viele von Ihnen ist der Serbski domizniski dźeń eine längst liebgewordene
Tradition. Für mich als neuer „Župan” des
Domowina-Regionalverbandes Hoyerswerda ist es das erste Mal. Jedes erste Mal
ist, wie Sie alle wissen, eine aufregende Sache, und man phantasiert vorher,
was man dabei alles falsch machen könnte. Also habe ich mir gesagt, am besten
hältst du dich an Joachim Nagel, den Initiator des Sorbischen Heimattages. Dann
kann nichts schiefgehen.
Česćeny
knježe Nagelo, sće sej jako přećel serbskeho ludu jeho rěč přiswojił a z wulkim
zapalom serbske korjenja Wojerowskich kónčin pěstował. Ze swojim njesebičnym
angažementom sće sebjewědomje Serbow skrućił a wědu wo kulturnym zakótwjenju
regionalneje towaršnosće šěrił. Tohodla je tež tón domizniski dźeń žiwy pomnik
Wašeje skutkownosće.
Pfarrer
Nagel wurde ja bereits im Jahr 2008 auf Vorschlag des
Domowina-Regionalverbandes für seine Verdienste um das sorbische Volk der „myto Domowiny“, der Preis
des sorbischen Dachverbandes verliehen. Die Suche nach den eigenen Wurzeln, das
ständige Thema des Heimattages, verbindet alle Menschen, die sich dem
Sorbischen verbunden fühlen. Egal welche Rolle die Sprache bei ihnen im Alltag
spielt und egal welche kulturellen Vorlieben sie haben.
Die sorbische Identität ist das breiteste und tiefste
Fundament, das unsere Region haben kann.
Ich finde es deshalb klasse,
dass Sie auch Krabat in diesen Tag einbeziehen. Den historischen Krabat zog ja
bekanntlich die Zuneigung zum Sorbischen hierher.
Wón
je drje sakskim knjezam w Drježdźanach słužił, ale swoju nowu domiznu je we
Wulkich Ždźarach namakał – wosrjedź słowjanskich sotrow a bratrow.
Die
Suche nach unseren eigenen Wurzeln offenbart Zukunftspotenzial. Mancher, dessen
Eltern aufhörten sorbisch zu sprechen, hat Enkelkinder, die im Kindergarten mit
sorbischen Sprüchen und Liedern vertraut gemacht werden. Und wer wollte in
Zukunft auf den kulturellen Reichtum von fast dreißig verschiedenen Varianten
der Hoyerswerdaer Tracht verzichten? (Die Zahl, die sich auf einen Experten
stützt, wird von Anwesenden nach der Rede als zu niedrig eingeschätzt, Anm.
M.B.) Naš chór Židźino, der Chor Seidewinkel, hat heute zugleich Zeugnis
davon abgelegt, dass auch das gesungene sorbische Wort wesentlicher Bestandteil
regionaler Volkskultur ist.
Wir
Sorbinnen und Sorben verdanken ja – und das sage ich als Katholik – der
evangelischen Kirche und der Reformation unendlich viel: die Bedeutung des
gesprochenen und gedruckten Wortes. Es ist schön, dass dieses Wort wieder immer
öfter auch in der Kirche selbst ein sorbisches ist. Besonders auch dank der
Familie Malink, die an den Standorten Bautzen, Königswartha und Schleife
kirchliche Sprachleuchttürme betreibt, scheint die Durststrecke überwunden.
Herrn
Joachim Nagel führte das Theologiestudium nach Bochum, wo meine Eltern geboren
wurden. Auf der Suche nach den eigenen Wurzeln begab sich Joachim Nagel nach
Polen, schuf sich seine Wahlheimat Hoyerswerda und verschrieb sich dem Sorbischen.
Ich selbst erblickte im Hamburger Bahnhofsviertel das Licht der Welt und
entschied mich später, in Dresden wohnend, auf der Suche nach meinen slawischen
Wurzeln – meine Großeltern mütterlicherseits Johann und Johanna Konieczny waren
Polen – für das Sorbische. Und ich führe heute mit meiner sorbischen Frau in
der Lausitz ein sorbisches Leben.
Am
Ende sitzen wir also nun alle hier in der Mitte der Lausitz und feiern
gemeinsam das Leben und den Glauben daran, dass das Leben mehr ist als nur das
aktuelle Einkaufs-Angebot auf Ebay oder Amazon. Es ist auch, bei allem Respekt,
mehr als städtische Shopping-Meilen. Das Sorbische kommt vom Dorf. Egal wo.
Früher
galt das dörfliche Leben und damit auch seine Sprache, das Sorbische, als
rückständig. Heute ist das anders. Wenn die Städter sich wohlfühlen wollen,
dann gestalten sie sich gemeinsam einen Kiez, einen überschaubaren Bereich von
ein paar Straßen. Da kennt man sich dann und lebt irgendwie – wie auf dem Dorf.
Und kommt immer wieder gern aufs Dorf, um unsere sorbischen Feste mitzufeiern.
Njech je w Ćisku, w Židźinom, na Horach, w Čornym Chołmcu abo druhdźe.
Seien wir also stolz auf unsere Dörfer und unsere sorbischen Wurzeln – sie sind das Modell für die Zukunft. Ich bin Pfarrer Heinrich Koch dankbar für die bereits produktive Zusammenarbeit in erst kurzer gemeinsamer Zeit und freue mich auf beständiges Miteinander mit Ihnen allen für unsere Dörfer und die Städte dazwischen. Wutrobny dźak a wjele wjesela, ich wünsche uns noch einen schönen Tag und viele solcher Tage!
FOTO: Sorbischer Superintendent Jan Malink im Gespräch mit Krabat (Wolfgang Kraus)
Kirsten Ann Böhme aus dem Hause Jatzwauk hat mich darauf hingewiesen, dass sich „Hoywoy“ bitte „Hoywoj“ schreibt, sei es doch eine Komposition der Abkürzungen für Hoy(erswerda) und Woj(erecy) und gehe auf die 50-er Jahre zurück.
Nun habe ich mich, Zugewanderter wie die meisten Menschen dieser Stadt, an den Gundermann gehalten, der „Hoywoy“ besingt. Mehrere in dieser Stadt aufgewachsene Menschen meines Alters bzw. Jüngere, von mir vor Erfindung dieses Blogs „DOM HOYWOY“ befragt, kennen nur „Hoywoy“. So neige ich im Moment zu der Theorie, dass Frau Böhme historisch Recht hat und der Begriff im Deutsch-Sorbischen wurzelt, sich dann aber verselbstständigt hat.
Für mich ist „Hoywoy“ eine übersprachliche Liebkosung dieser zauberhaften Stadt, also weder deutsch noch sorbisch. Und ein Zweisilber mit zwei „y“ sieht einfach geil aus. Also werde ich wohl den Blog-Namen lassen, aber in Texten „Hoywoj“ integrieren.
Zur Eröffnung des sorbischen Programms auf dem Marktplatz beim Altstadt-Fest: Kurze Ansprache des Vorsitzenden des Domowina-Regionaverbandes Hoyerswerda, Marcel Braumann
Liebe Besucherinnen und
Besucher dieses zauberhaften Altstadt-Festes in unserer schönen
Lausitzer-Seenland-Stadt Hoyerswerda!
Und nun der Begrüßungssatz
nochmal in unserer sorbischen Sprache, damit Sie den Klang vergleichen können:
Lubi wopytowarki a wopytowarjo
tutoho bajkojteho staroměšćanskeho swjedźenja w našim rjanym měsće Łužiskeje
jězoriny, we Wojerecach!
Sie haben jetzt ein bisschen
Pech, dass der Regionalverband der sorbischen Dachorganisation Domowina zurzeit
von einem Mann geleitet wird – sonst könnten Sie jetzt auf die wunderbare
sorbische Tracht unserer Region schauen. Mir bleibt nur übrig, zu solchen
Anlässen eine Krawatte in den sorbischen Farben zu tragen, damit Sie wissen,
woran Sie jetzt sind. Es geht um die Einstimmung auf das sorbische Programm.
Die wunderschöne sorbische
Tracht der Hoyerswerdaer Region können Sie aber nun doch schon sehen, denn eine
meiner engagiertesten Mitstreiterinnen, die Beauftragte für sorbische Angegenheiten
der Stadt Hoyerswerda, Gariele Linack, trägt diese Tracht zu besonderen
Anlässen und erscheint jetzt hier bei uns auf der Bühne!
Wir freuen uns natürlich, dass
die sorbische Kultur heute ganz selbstverständlich im Herzen der Stadt auch
hier auf dem Marktplatz ihren Platz hat. Domowina bedeutet Heimat. Unsere 20
Vereine und Gruppen mit ihren zurzeit insgesamt 800 Mitgliedern leisten im
Alltag und auf vielen Festen ihren Beitrag dazu, dass wir uns alle in unserer
Hoyerswerdaer Region zu Hause fühlen können.
Sie, liebe Zuhörerinnen und
Zuhörern, wissen ja, wie das mit der Mode ist. Was längst vergssen war, wird
plötzlich wieder modern. Hätte man doch nur die Sachen der Urgroßeltern
aufbewahrt, manches gilt auf einmal wieder als chic. So ist das auch mit dem
Sorbischen. In einigen Kindergärten und Schulen auch unserer Region lernen
Kinder wieder Sorbisch, zur Freude der Eltern, die die Sprache oft selbst nicht
können. Und dann nicht selten selbst auch ein bisschen mitlernen wollen.
Wir sind stolz darauf, wenn zum
Beispiel die sorbische Tanz- und Trachtengruppe Bröthen beim Osterfest in
Bautzen Gäste aus nah und fern erfreut und auch beim internationalen Festival
Lausitz auftreten wird. Oder schauen wir nach Zeißig, einen unserer sorbischen
Leuchttürme, wo gleich mehrere Vereine für blühende sorbische Landschaften
sorgen.
Ich könnte jetzt auch Bluno,
Wittichenau, Lohsa, natürlich alles rund um die Krabatmühle Schwarzkollm,
Sabrodt, Seidewinkel und Litschen nennen – und selbstverständlich all die
Aktivitäten in Hoyerswerda selbst. Viele von Ihnen kennen vieles davon, und wer
noch nicht, der wird uns noch kennenlernen – das ist keine Drohung, sondern
Aussicht auf spannende Begegnungen!
Eine “kurze Ansprache” hat
Ihnen das Programm versprochen, deshalb werde ich jetzt darauf verzichten,
Ihnen noch was über anderthalb Jahrtausende sorbische Geschichte in der Lausitz
zu erzählen. Ich möchte mich daher auf diesen Platz beschränken:
Das Haus, das Sie dort sehen,
ist ja das Haus, in dem im Jahr 1912 ganz normale Leute aus allen Teilen der
Lausitz die Domowina gegründet haben. 1921 wurden die Regionalverbände geschaffen,
auch unserer. Im Jahr 2021 wollen wir das Hundertjährige all unserer
Regionalverbände in Hoyerswerda mit einem großen sorbischen Festumzug feiern,
zu dem ich Sie schon heute herzlich einlade.
Möge uns der gute Zauberer und
Menschenfreund Krabat dabei helfen, diese Stadt zur liebenswerten Heimat für
viele Lausitzer Familien zu machen! Wir wollen, dass Hoyerswerda wieder wächst,
und dazu werden die Sorbinnen und Sorben ihren kleinen, aber feinen Beitrag
leisten! Auch mit dem heutigen Programm. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld!
Das sorbische Programm gestalteten die Sorbische Volkstanzgruppe Zeißig znd
der Sorbische Kinderverein Zeißig vor mehr als hundert begeisterten Zuschauern.
Weil ich in letzter Zeit wiederholt mit kritischem Unterton danach gefragt worden bin, ob die parteipolitische Unabhängigkeit des sorbischen Dachverbandes Domowina noch gilt: Ja, Dawid Statnik kandidiert als Privatperson (ganz hat’s zwar nicht geklappt, weil auf dem Wahlzettel „Vorsitzender der Domowina“ steht) bei den Kreistags-Wahlen für die CDU. Menschen aus der Verwaltung der Domowina in Bautzen unterstützen dagegen wie schon bei den letzten Wahlen die Sorbische Wählervereinigung, die auch die meisten sorbischen Kandidaten zählt. Und viele andere orientieren sich an dem, was Anfang der neunziger Jahre nach dem Scheitern der Idee einer eigenen sorbischen Partei als Konsens formuliert wurde: Jeder möge sich entsprechend eigener politischer Überzeugung für oder in einer Partei bzw. politischen Formation engagieren und dort das Sorbische einbringen, sodass es parteiübergreifenden Rückhalt finde. Dass das bei mir dieselbe Partei ist wie die von Ralph Büchner, weiß sowieso jeder.
Der Beirat für sorbische Angelegenheiten Hoyerswerda ist für mich ein besonders schönes Beispiel für gelebte politische Pluralität bei gleichzeitiger Einigkeit in dem Streben, die sorbische Prägung der Region mit Leben zu erfüllen. Das ist zugleich das Ziel des Domowina-Regionalverbandes. Bevor ich Vorsitzender des Domowina-Bildungsausschusses wurde, schlug mich Dawid Statnik als Chef des Ausschusses für politische Lobby-Arbeit vor. Ich wurde vom Bundesvorstand der Domowina einstimmig gewählt und erwählte mir als Stellvertreterin eine langjährige sorbische CDU-Kommunalpolitikerin. In der sorbischen Community spielen Parteizugehörigkeiten ohnehin eine geringere Rolle als im Rest der Welt. Als Župan pflege ich strikte parteipolitische Neutralität und Kooperation mit allen demokratischen Repräsentanten, die in sorbischen Sachen guten Willens sind – und erlaube mir selbstverständlich ansonsten eine persönliche Position, die bekanntlich nicht nur parteipolitisch eine andere als die von Dawid Statnik ist.
Im sogenannten sorbischen Kerngebiet, also den sorbisch-katholischen Dörfern überwiegend im Altkreis Kamenz (besonders Verwaltungsverband Am Klosterwasser mit Sitz in Panschwitz-Kuckau), erzielte die CDU Anfang der neunziger Jahre Wahlergebnisse von bis rund 80 Prozent. Andere größere Parteien, die andernorts relevant sind, hatten hier den Status einer Splitterpartei. Deshalb hat es natürlich mit der politischen Pluralität nicht immer und überall gut funktioniert. Inzwischen liegen die Ergebnisse der seit 1990 in Sachsen regierenden Partei auch in jenen sorbischen Dörfern bei ca. 40 Prozent (letzte Bundestagswahl, was dem landesweiten Ergebnis der Partei bei den Landtagswahlen 2013 entsprach). Insofern normalisieren sich die politischen Verhältnisse auch in jener Region. In der Region Hoyerswerda sah das von Anfang an anders, also „normaler“ aus. So, und nun geht mal schön am 26. Mai wählen – und wählt, was ihr wollt. Denn das ist Demokratie.
Bei 12 Grad und Regen denkt man nicht ans Baden, aber wehmütig ans letzte und hoffnungsfroh-sehnsüchtig ans nächste Wochenende. Und erinnert sich an die beste Literatur aller Zeiten über das alte slawische Leben: Sudička.
Mein Tipp für eure Urlaubslektüre. Ich hab’s im letzten Jahr genossen. So ganz nebenbei erfährt man da, was die liebste Erquickung fitter Sorben, der damaligen „Waldslawen“ war: nackt im Fluss baden. Das erfrischte Körper und Geist, streichelte die Seele und verschaffte inmitten des Vegetations-Dickichts ein Gefühl von unbeschwerter Freiheit.
Unser
Lausitzer Seenland ist eine solche Freiheits-Stätte, abseits der
Großstadt-Dschungel und des Straßen-Gewirrs in unseren Siedlungen. Sudička wäre
neidisch, wüsste sie, dass sie heute mit dem tollen Jungen nicht nur im Wasser
plantschen, sondern auch im Sand liegen könnte.
Der
damalige Spaß im Wasser endete dramatisch (mehr wird hier natürlich nicht verraten).
Beim heutigen Vergnügen muss nichts schiefgehen, wenn die Kinder rechtzeitig
schwimmen lernen und man selbst nicht schnitzel- und biergefüllt in die kühlen
Tiefen springt. Auf ein erquickendes nächstes Wochenende!
Legenden leben lange: Die Braunkohle-Industrie hat das Sorbische verdrängt. Was sagt der Fakten-Check? Zur gleichen Zeit wie in der Region Hoyerswerda verflüchtigte sich auch in und um Bautzen das Sorbische als Alltagssprache. Ohne Steinbrüche und Kohlegruben. Ja auch dort, wo größere Betriebe keine Rolle spielten. In den fünfziger und sechziger Jahren hörten vielerorts Menschen auf, mit ihren Kindern sorbisch zu sprechen. Die Sprache galt als veraltet.
Größere
Sprachräume überlebten nur dort, wo es eine zusätzliche Grenze gab: den
Unterschied der Konfession. Also in den sorbisch-katholischen Milieus. Egal ob
in Wittichenau oder in Ralbitz-Rosenthal, um nur zwei Beispiele
herauszugreifen. Dort ist die Tradition bis heute so lebendig, dass die Weitergabe
der Muttersprache ganz natürlich als Selbstverständlichkeit empfunden wird.
Die Kohle-Gewinnung hat die Landschaft verändert, so wie schon die Eiszeit und wie hier und andernorts auch der Mensch. Als vor tausend Jahren das heutige Ostdeutschland noch überwiegend von slawischen Völkern bewohnt war, lebten sie in uferlosen Laubwäldern. Die Kiefernwälder der sorbischen Heide, die den Tagebauen wichen, waren bereits eine menschengemachte Transformations-Landschaft. Ich persönlich finde das heutige Seenland schöner.
Wahr
ist also: Die Kohle hat Modernisierungsschübe beschleunigt, aber nicht
ausgelöst. Wie ich schon neulich beim Jahrestag 50 Jahre Umsiedlung von Groß Partwitz
sagte: Auch die Sorben haben mit und in der Kohle gelebt, fast alle haben schon
weit vor der Abbaggerung neben der Landwirtschaft auf ertragsarmen sandigen
Böden in der Kohle gearbeitet. Wie andere Orte, die der Kohlebagger doch nicht
erreichte, wie Klitten, zeigen, wäre das Sorbische aller Wahrscheinlichkeit
auch nicht mehr präsent, wenn Groß Partwitz am selben Ort weiterbestanden
hätte.
Heute ist das Sorbische als Heimatsprache und Stütze regionaler Identität wieder im Kommen – so wie die erzgebirgische Mundart oder das Bretonische in Frankreich. Es wird in zwei Generationen so selbstverständlich mit zum Lausitzer Seenland gehören wie früher zur Heide. Natürlich werden die Menschen auch Deutsch können und nutzen, was sie von sorbischer wie deutscher Einsprachigkeit in ganz alten Zeiten unterscheidet. Und das ist auch in Ordnung so.
Die Info-Tafel steht am Denkmal für Groß Partwitz in Klein Partwitz beim Partwitzer See.
Manche glauben ja, wir Sorben seien auf die – einst sorbische
– Altstadt fixiert. Ich bin, ehrlich gesagt, alter Neustadt-Fan. Natürlich
hängen wir besonders am Domowina-Gründungshaus der Kufa, was nun mal in der
Altstadt ist. Ebenso wie an der sorbischen Infrastruktur, z.B. Trachtenhaus Jatzwauk
und natürlich unser Domowina-Haus. Und ganz wichtig: die Grundschule „Am Adler“ mit ihren
Sorbisch-Klassen.
Aber wie es im Songtext der Band Wolfsheim hieß: „Es gibt keinen Weg zurück“. Bei uns wäre das der Weg zurück zur sorbischen Kleinstadt, bevor Schwarze Pumpe kam und Hoywoy, die Wohnstadt des Kombinats, geboren wurde. Das ist eben die Neustadt, die städtebauliche Verkörperung von technischem Fortschritt, wirtschaftlichem Aufbruch und moderner Gesellschaft. In der bis heute auch sorbisch sprachige Menschen leben – und künftig wieder mehr leben werden.
Es liegt
auch in unserem sorbischen Interesse, dass der „Rückbau“ ein baldiges Ende
nimmt und Hoywoy wieder wächst. Denn auch wir wollen nicht mehr in die Zeit
zurück, als die sorbischen Trachten entstanden, die zu unserem lebendigen
kulturellen Erbe gehören. Die sorbische Community braucht in der Lausitz einen
Mittelpunkt zwischen den Polen Bautzen und Cottbus. Die Bevölkerung der
mittleren Lausitz wiederum braucht ein städtisches Zentrum mit
Ausstrahlungskraft.
Deshalb trifft sich also der „Klub der jungen sorbischen Freigeister“, das neue Debattier-Format des Domowina-Regionalverbandes, zu seinem zweiten Abend auf dem Lausitz-Tower. Mitten in der Neustadt. Ein passender Ort für einen Stammtisch ohne Grenzen. Selbstverständlich bleiben wir der Kufa treu, wo der Gründungsakt stattfand. Zugleich zeigen wir: Die Neustadt gehört dazu, da sind wir genauso zu Hause!